20 Jahren Terrorismus – Terror und Bomben / Krieg

Die rasante Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan trotz 20 Jahre NATO-Krieg und Ausbildung einheimischer Truppen zeigen mir, dass ein generelles Umdenken hin zu einer Friedenspolitik mit ziviler Konfliktlösung und ohne Militär stattfinden muss.

Die Kritik über zu spätes Handeln greift zu kurz: Wir hätten uns niemals auf diese kriegerische Weise einmischen dürfen.

Das wurde mir bewusst, als ich mein Votum vom 20.9.2001 (kurz nach dem Einmarsch der NATO unter US-Führung) noch einmal las. Jawohl, das ist auch die Antwort für heute: Solidarität, Recht und Gerechtigkeit, Gewaltfreiheit! Dafür stehe ich auch heute noch!

Statement zu Terror und Bomben / Krieg

von Paul Gräsle, Sekretär für Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfung der EmK in D. (28.10.2001) 

Je länger ich über die Terrorakte in den USA und die Reaktionen darauf in Form von Bomben und Bodentruppen nachdenke, desto mehr denke ich, dass drei Dinge zu tun notwendig wären.

  1. Solidarität allen Opfern von Terror und Gewalt!
    Als Rupert Neudeck von der Cap Anamur eine Woche nach dem furchtbaren Terrorakt in den USA von Afrika heimkam, sagte er: „Das Einzigste, was auf der Welt gut ist, ist die Arbeit für Menschen in tiefer Not, für Menschen, die in Gefahr sind zu ertrinken, zu verhungern, zusammengeschlagen oder gefoltert zu werden.“
    Alle Opfer von Terror und Gewalt sollen unsere uneingeschränkte Solidarität haben. Die Opfer von New York genauso wie die Opfer von Gewalt in Palästina, in Israel, im Irak, in Tschetschenien und vielen Ländern Afrikas. Menschen in Guatemala oder dem Tschad hängen genauso am Leben wie wir Deutschen oder US-Amerikaner. Die Präambel unserer Sozialen Grundsätze spricht vom „unschätzbaren Wert jedes Menschen“.
    Wer sich in der EmK für die Menschenrechte engagiert hat, galt eher als Außenseiter/in, häufig wurde ihm/ihr die Frage gestellt, ob dadurch nicht das Heil der Menschen vernachlässigt würde.
    Zu wenig haben wir uns in der Vergangenheit den Leiden der Gewaltopfer (ich zähle die Gewalt des Hungers dazu) zugewandt. Wir als Industrieländer haben in der Vergangenheit oft auch Gewaltregime unterstützt und mit ihnen Geschäfte gemacht, die Menschenrechte mit Füßen getreten haben
    Im Sozialen Bekenntnis unserer weltweiten EmK heißt es: „Wir sind bereit, mit den Benachteiligten unsere Lebensmöglichkeiten zu teilen“. Diese Solidarität müssen wir neu lernen.

  2. Recht und Gerechtigkeit ist die richtige Antwort auf Terror und Gewalt
    Die ersten Reaktionen nach dem furchtbaren Terrorakt waren sicherlich verständlicher weise geprägt von „dreinhauen“, „niederbomben“ usw.. Wenn aber beim Niederbomben tausendfaches Flüchtlings- und Hungerleid die Folge ist, kann das nicht die Lösung sein! Wir rühmen unsere Rechtsstaatlichkeit, wonach die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen müssen. Ganz streng muss das geschehen, vielleicht sogar mit Einschränkung von Bürgerrechten. Die Terrorbekämpfung der 70 er und 80er Jahre zeigt, wie wirkungsvoll dies war.
    Aber es muss jeder Terror bekämpft werden – nicht nur dann, wenn es einen selber trifft. Der Nahe Osten zeigt, dass Gewalteskalation der falsche Weg ist – das gilt sowohl für palästinensische Selbstmörder wie auch für Mordkommandos der Israelis.
    Neben dem Handeln im Rahmen des nationalen und internationalen Rechts kommt für mich auch die „internationale Gerechtigkeit“ ins Spiel. Das freie Spiel des Marktes und der Globalisierung hat zunehmend auch Verlierer produziert. Das heißt nicht, dass wir für alle Probleme der Welt verantwortlich wären – aber unser Anteil ist gewaltig! Mehr Engagement für Gerechtigkeit ist für mich das Gebot der Stunde. Unsere Sozialen Grundsätze bieten viele Ansätze dazu

  3. Das biblische Zeugnis der Gewaltfreiheit ist gerade jetzt dringend nötig
    Unser Zeugnis in den Sozialen Grundsätzen, dass Krieg mit der Lehre und dem Beispiel Christi unvereinbar sei und wir deshalb den Krieg als Instrument der Politik verwerfen, müssen wir in der gegenwärtigen Krise neu buchstabieren lernen. Dass Krieg wieder salonfähig geworden ist – das ist es, was mich am meisten schmerzt. In der ökumenischen Dekade zur Überwindung von Gewalt können und sollten wir vielmehr das Zeugnis der Gewaltfreiheit mit anderen zusammen umsetzen.

Es ist ja nicht der erste Krieg, der dieses Desaster zeigt. Die Intervention der Russen – gescheitert!

Schon 1839 marschierten die Briten in Kabul ein, um bereits nach drei Jahren vor einem afghanischen Aufstand zu fliehen. 4500 britische und indische Truppen flohen mit etwa 10.000 Hilfskräften. Hinter Kabul liefen die Briten in eine Falle. Nur ein einziger Europäer schaffte es in Richtung Pakistan, fast alle anderen kamen um! 1859 schrieb Theodor Fontane dazu ein Gedicht: „Das Trauerspiel von Afghanistan“
An diese Geschichte erinnerten mich meine Freunde vom Lebenshaus Schwäbische Alb e.V.

Theodor Fontane schrieb 1857 das Gedicht Das Trauerspiel von Afghanistan, das Brydons Ankunft in Dschalalabad nach seiner Flucht aus Kabul im Jahr 1842 schildert. Hier ein Auszug:

Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt,
Ein Reiter vor Dschellalabad hält,
„Wer da?“ – „Ein britischer Reitersmann,
Bringe Botschaft aus Afghanistan.“

Afghanistan! Er sprach es so matt,
Es umdrängt den Reiter die halbe Stadt,
Sir Robert Sale, der Kommandant,
Hebt ihn vom Rosse mit eigener Hand.
 

Sie führen ins steinerne Wachthaus ihn,
Sie setzen ihn nieder an den Kamin,
Wie wärmt ihn das Feuer, wie labt ihn das Licht,
Er atmet hoch auf und dankt und spricht:

„Wir waren dreizehntausend Mann,
Von Kabul unser Zug begann,
Soldaten, Führer, Weib und Kind,
Erstarrt, erschlagen, verraten sind.

Zersprengt ist unser ganzes Heer,
Was lebt, irrt draußen in der Nacht umher,
Mir hat ein Gott die Rettung gegönnt,
Seht zu, ob den Rest ihr retten könnt.“

Sie bliesen die Nacht und über den Tag,
Laut, wie nur die Liebe rufen mag,
Sie bliesen – es kam die zweite Nacht,
Umsonst, dass ihr ruft, umsonst, dass ihr wacht.

Die hören sollen, sie hören nicht mehr,
Vernichtet ist das ganze Heer,
Mit dreizehntausend der Zug begann,
Einer kam heim aus Afghanistan.

Quelle: https://www.infosperber.ch/politik/welt/theodor-fontane-das-trauerspiel-von-afghanistan/